Dieser Tage habe ich in einer freundlichen E-Mail an einen Weinviertler Bio-Landwirt eine Einladung ausgesprochen. Haben Sie Lust auf ein Interview im Rahmen einer Reportage? Heute kam die Antwortmail …

Ohne Anrede. „Warum nicht“, stand da. Und eine automatische Signatur. Nicht, dass mich das jetzt hammerhart trifft, Bio-Landwirte gibt es mittlerweile ja reichlich. Vor allem auch solche, die meine Anfrage mit herzlicher – oder zumindest höflicher – Anrede beantworten. Und meist mit großer Freude – schließlich bedeutet das ja eine nette mediale – kostenlose – Präsenz.

Es trifft mich auch deshalb nicht mehr so, weil ja rund die Hälfte der – reichlich vielen – Mails, die ich pro Tag bekomme, Anrede und/oder Grußformel vermissen lassen. Im Klartext also: Geschäftliche Kommunikation ohne „Grüß Gott” und „Auf Wiedersehen”.

Nun gehöre ich ja schon einer Generation an, die sagen könnte „… zu unserer Zeit war alles …”. Aber auch meine 15-jährige Tochter, der ich obiges Fallbeispiel zeigte, fand das wenig prickelnd. Am Generationskonflikt liegt es also nicht.

Stimmen werden immer wieder laut, die meinen, der Verfall der Kommunikationsknigge läge an den Neuen Medien. E-Mail, SMS, Whatsapp & Co. sollen daran schuld sein, dass heute ein „neuer Kommunikationsstil” herrscht. Naja … ich benutze all diese Kommunikationsmittel, breche mir aber keinen Zacken aus der Krone, wenn ich mit „Liebe/r XY” beginne und „mit freundlichen Grüßen” ende. Und viele andere – siehe oben, nach Adam Riese also rund die andere Hälfte, sieht das auch so.

 

Verfall der Sitten?

Anderes Szenario: Ich möchte/muss ein neues Auto anschaffen. Einige Marken scheiden von (Bank)Haus aus, einige bleiben. Es fällt mir schwer mich zu entscheiden, ich muss sie mir ansehen, Probefahren, am besten in der Motorisierung, die ich kaufen mag, um meine Wahl zu treffen. Autohaus Nummer 1 liegt grade günstig auf meinem Weg, also nix wie rein. Verkäufer ist an seinem Schreibtisch beschäftigt, ich suche mir das Auto im Schauraum selbst. Setze mich hinein, um mir ein Gefühl zu verschaffen. Der Ausblick im Rückspiegel ist durch die Ablage verstellt, also versuche ich den Kofferraum zu öffnen, um die Blockade zu beseitigen und stoße gleich auf eine neue. Kofferraum versperrt, der Verkäufer nach wie vor am Schreibtisch busy. Ich muss ihn also leider von seiner wichtigen administrativen Tätigkeit abhalten und bitten, mir den Kofferraum zu öffnen. Er tut es mir erfolglos gleich, murmelt vor sich hin und fingert neben dem Fahrersitz eine Art Fernbedienung hervor. Auch das mehrmalige Drücken diverser Tasten bleibt erfolglos, wie ich sehe. Hören tu ich nix, denn der Herr Verkäufer zieht Selbstgespräche vor, murrt „ … is leer …” und zieht von dannen. Ich warte, in der Annahme, dass er mit einem neuen Lösungsansatz wiederkehren wird, vergeblich, finde ihn aber an seinem Schreibtisch wieder. Auto mag er wohl keines verkaufen … Autohaus Nummer 2 kontaktiere ich vorsorglich erst mal telefonisch, nur für den Fall, dass Fernbedienungsbatterien aufgeladen werden müssen oder andere Vorbereitungen für interessierte Kunden getroffen werden wollen. Der zuständige Herr ist nicht da. Auf seinen Rückruf warte ich noch heute.

Autohaus Nummer 3 und 4 verhielt sich ähnlich interessiert am Verkauf eines Fahrzeugs. Lange Rede, kurzer Sinn: Auch hier gibt es Gottseidank noch andere, sodass ich schon noch zu meinem neuen Auto komme.

Als Unternehmerin frage ich mich allerdings: Was ist hier eigentlich los?

 

Die zweite Seite der Medaille

Jetzt, wo ich meine Nase mal in eine andere Welt gesteckt habe, wundere ich mich schon ein bisserl weniger darüber, dass unsere Kunden oft so erstaunt sind, weil wir zum vereinbarten Termin kommen („Na bumm, sie sind aber pünktlich!”), tatsächlich zurückrufen, wenn wir das anbieten, Arbeiten auch wirklich dann fertigstellen, wann wir es zugesagt haben, und die Anliegen unserer Kundinnen und Kunden für uns das Wichtigste in unserem Arbeitsalltag sind („Ihr seids immer sooo schnell!”).

So kam es, dass mein Lieblingswort in diesem Jahr „Wertschätzung” wurde. Und vielleicht kann ich der und dem einen oder anderen diesen Begriff mit allem, was da so dazugehört, heute ein wenig ans Herz legen …