Ich geb’s (ungern) zu – jetzt ist es mir tatsächlich auch passiert: Ich habe mir mit einem (wildfremden) Menschen via Facebook-Messenger einen Termin ausgemacht und ihn noch dazu dabei geduzt. Der Social Media-Sog hat mich in seinem Bann …

Kurt Fenkart schreibt in seinem Buch „Auch Du bist ein Schamane“, dass er Menschen, denen er noch nie in die Augen gesehen hat, eigentlich niemals duzt. Das fühlt sich für mich total stimmig an. Schließlich komme ich ja ohnehin aus einer Generation, in der es als äußerst unhöflich galt, jemanden zu duzen, ohne dieses Angebot (vom Älteren) erhalten zu haben. Früher war es irgendwie ein Freundschafts- oder Vertrauensbeweis, so etwas wie „irgendwie sind wir uns jetzt näher“ oder „irgendwie gehören wir jetzt zusammen“. Und es hatte so etwas von Ehre, von jemandem auf diese Art zum Ritter eines Naheverhältnisses geschlagen zu werden.

Heute – und das ist wohl zum Gutteil der Social Media-Welt geschuldet – ist das Du zu etwas Selbstverständlichem geworden. Selbst unter Fremden. Höfliche fragen da noch an, ob das Du – aufgrund der Facebook-Freundschaft – eh okay ist, andere gehen einfach gleich mal von einem Ja aus.

Ich will damit nicht sagen, dass ich es übel finde, heutzutage mit Gott und der Welt per Du zu sein. Schließlich schafft es ja tatsächlich Nähe, es macht locker, baut Hürden und oft auch Hemmungen ab. Wiewohl ich Letzteres nicht immer nur toll erlebe. Denn oft ist es einfach nur distanzlos und killt jeglichen Respekt … vor allem, wenn es über den privaten Bereich ins Berufliche schwappt!

Hallo Du!

Kürzlich flackerte eine PN auf meinem Smartphone auf: „Hallo! …“ Nein, sie war nicht von einer meiner Freundinnen oder Bekannten. Eine mir völlig fremde Mitarbeiterin eines Buchverlags fragte an, ob wir eines ihrer neuen Bücher bewerben könnten. „Hallo! Vielleicht haben Sie ja Lust …“.

Das ist mir dann bei aller Liebe zur schnellen Privaten Nachricht, die ich oft schätze und wirklich praktisch finde, doch etwas zu viel „Nähe“. Ich tippe zwar meiner Tochter in Sekundenschnelle ein „komme später“ hinüber, selbst meiner Therapeutin kann ich schnell schreiben „Stecke im Stau, komme 10 Minuten später!“ Aber im eindeutig geschäftlichen Kontext scheint mir dieses flapsige „Hallo Du“ dann doch irgendwie ziemlich unangebracht und wenig wertschätzend.

Aber wie gesagt, auch mich hat die Dynamik erst vor kurzem selbst übermannt, wenngleich mir meine eigene Distanzlosigkeit im Nachhinein ziemlich peinlich ist und ich mich an jener Stelle auch dafür entschuldige. „Das macht doch nichts“ oder „das ist schon okay“ tröstet mich da nur marginal darüber hinweg, dass auch meine eigenen Sitten wohl langsam „verrohen“.

Oder bin ich zu empfindlich? Zu uncool? Schon old-school?
Was denkt Ihr darüber? Sind Höflichkeit und Respekt im Umgang miteinander unter sich fremden Menschen überholte Werte, die die Kommunikation nur unnötig verkomplizieren?