Viele Bilder, Berichte in Social Media-Netzwerken, Fernsehen, Radio, Zeitschriften … nicht nur einmal habe ich meinen Unmut über die unmenschlichen Zustände kundgetan.
Aber was war mein Beitrag? Leider gar nichts. Kann es überhaupt einen Beitrag geben?
Ich fahre einmal die Woche nach Baden, aber bis gestern bin ich nicht auf die Idee gekommen, in Traiskirchen abzuzweigen. Dafür schäme ich mich mehr, als für die Unfähigkeit eines Landes viertausend Menschen unbürokratisch und schnell in zweitausend österreichischen Gemeinden unterzubringen. Ein Bericht von Sophie von Adopt A Wish hat mich dann plötzlich wachgerüttelt. Die junge Frau engagiert sich seit Monaten intensiv für die Menschen in Traiskirchen. Ohne noch lange darüber nachzudenken bereite ich mich spontan darauf vor, bei der Heimfahrt von Baden in Traiskirchen Halt zu machen. Ich sammle erst einmal Kleidungsstücke in meiner Familie, vor allem mein Mann hat erfreulich viel zu geben und ich habe gelesen, dass vor allem Männer Kleidung benötigen (und Schuhe!). Unterwegs kaufe ich noch ein: Weißbrot, Schokolade, Windeln, Babynahrung, Binden, Kekse, Haarshampoo, Seifenblasen für die Kinder … doch eigentlich bin ich ziemlich ratlos.
Wer sind die Menschen, die ich hier treffen werde? Brauchen Sie wirklich etwas? Und was?? Die ganze Autofahrt über bin ich ziemlich nervös. Ich versuche mir vorzustellen, wie es ist, fremde Menschen anzusprechen und ihnen Geschenke zu bringen. Solche, von denen ich nicht einmal weiß, ob sie gut ankommen, gebraucht werden, Freude machen, Hoffnung geben …
Und warum mache ich das? Um mir selbst einen Heiligenschein aufzusetzen? Mein Gewissen zu beruhigen? Mich gut zu fühlen? Nein – immer wieder denke ich darüber nach, wie es mir wohl ginge und ich glaube, dass es ein schönes Gefühl wäre, wenn mir ein wohlgesonnener Mensch seine Anteilnahme an meinem Schicksal zeigt. Ja, Solidarität ist meine Motivation und ich bin ein wenig beruhigter.
Hilflos wie selten zuvor
Traiskirchen. Ich komme von der Autobahnabfahrt in das Städtchen und alles ist, wie es sein soll. In einem Hetzartikel habe ich kürzlich gelesen, dass sich eine junge Frau fürchtet, durch ihre Heimatstadt Traiskirchen zu gehen, weil hier so viele Fremde sind. Ich sehe auf langen Strecken keinen einzigen. Und weil ich das Lager nicht finde, toure ich kreuz und quer durch die Stadt, bis ich endlich nach dem Weg frage. Erst in der Nähe des Lagers sieht man die Menschen in Grüppchen stehen und sitzen.
Wieder werde ich nervös. Wie mache ich das? Wen spreche ich an? Und wie, ohne peinlich oder aufdringlich zu wirken. Wie mischt man sich bloß „richtig“ ins Schicksal anderer ein? Mein Magen rebelliert und es scheint eine echte Prüfung für mich zu werden. Meine Tochter und ihre Freudin hingegen sind völlig unbeeindruckt und warten auf die Kinder, denen sie die Kekse und Seifenblasen überreichen möchten.
Ich habe gelesen, dass man Spenden sinnvollerweise portionieren soll, damit man sie besser verteilen kann. Ich habe gelesen, dass einem sonst eine Horde Bedürftiger gleich alles begierig aus dem Kofferraum zerrt. Ich bin sehr nervös, als ich endlich den Lagerzaun sehe. Bis hierhin habe ich keinen Eindruck von Not oder Bedürftigkeit gesehen. Wie werde ich sie finden, die Menschen, die meine Hilfe benötigen?
Ich fahre die Straße am mächtigen Areal des Lagers entlang. Amnesty International hat seinen Besuch angekündigt. Ist das der Grund, weshalb hier kaum Menschen zu sehen sind? Zweimal umrunde ich zunehmend verzweifelt das Flüchtlingslager auf der Suche nach einem Impuls, einem Hinweis, wo ich stehenbleiben soll, wem ich meine Geschenke überreichen soll. Ich fühle mich hilflos wie selten zuvor.
Durch die Gitterstäbe des Zauns erkennt man die große Wiese, auf der in Grüppchen Zelte aufgebaut sind. Wo bitte sind die viertausend Menschen??? Ich hatte einen Gedränge erwartet, Menschenmassen, doch alles wirkt friedlich und still. Was soll ich jetzt bloß tun? Die vereinzelten Menschen, die ich hier sehe, sind gekleidet wie du und ich, Frauen in ihren traditionellen langen Kleidern mit Kopftücher, aber irgendwie scheint alles da zu sein, nichts zu fehlen. Niemand weint oder sieht hilflos aus. Niemand außer mir …
An einer Stelle des Zauns lädt jemand Hilfsgüter aus dem Kofferraum aus, eine kleine Menschenansammlung – vielleicht zehn oder fünfzehn Männer und Frauen und einige Kinder stehen auf der anderen Seite der Gitterstäbe. Und weil ich sonst niemanden finde, parke ich mich daneben ein. Scheu nehme ich eine Windelpackung aus dem Kofferraum und frage: „Baby?“ Ein Mann streckt die Hand durchs Gitter. „Please, family!“ Ich gebe ihm die Windeln. Einer Frau eine zweite Packung. Hat sie auch ein Baby?
Rasch haben wir unsere Sackerln unter den Menschen verteilt. Meine Tochter ist enttäuscht, weil so wenige Kinder da waren und sie manchen zwei Tuben Seifenblasen geben musst. „Wo sind die armen Kinder, Mama?“ Ja, wo? Als ich ins Auto einsteige, kommt eine hübsche junge Frau ein wenig abseits an den Zaun. „Baby??“, fragt sie leise. Ich könnte heulen. Sie hätte wohl etwas gebraucht, aber ich habe sie nicht gesehen. Jetzt, wo ich mit leeren Händen dastehe, … „I’ll be back next week“, verspreche ich ihr, aber ich glaube, sie spricht kein Englisch. Ich hoffe trotzdem, dass sie mich auf irgendeiner Ebene versteht. „Next Tuesday, I’ll be here again.“ Und sie? Wird sie auch hier sein?
Schweigend fahren wir ab. Unsere Hilfsaktion hat bestimmt nicht länger als zehn Minuten gedauert. Bis zur Wiener Stadtgrenze sprechen wir nicht, auch meine Mädchen sind in Gedanken versunken. „Das war richtig komisch“, sagt meine Laura dann irgendwann. Und: „Ich glaube, da möchte ich lieber für die hungernden Kinder in Afrika spenden.“
Alles falsch gemacht?
Daheim bin ich immer noch von diesem unbefriedigenden Gefühl, alles falsch gemacht zu haben, beseelt. Aber wie mache ich es richtig(er)? Bei Sophie von Adopt a Wish finde ich dann (leider erst gestern Abend), wonach ich gesucht habe: Eine Anleitung zum Helfen.
Nächsten Dienstag fahre ich zusammen mit einer Freundin wieder nach Traiskirchen. Über meine Facebookseite habe ich das veröffentlicht, denn gerne nehme ich Spenden mit. Vor allem, weil ich selbst keine Babysachen mehr habe und vielleicht auf diesem Weg welche finde. Diesmal werde ich nicht mehr dem Zaun entlang fahren, sondern dem Rat von Sophie folgen. Ich werde mein Auto irgendwo griffbereit abstellen und ich werde den Mut fassen, Menschen anzusprechen, mit ihnen über ihre Situation sprechen. Ich werde versuchen, sie ein wenig kennenzulernen und dabei etwas über ihre Bedürfnisse zu erfahren. Und ich hoffe, damit gezielter zu helfen und Traiskirchen diesmal nicht mit einem schalen Gefühl zu verlassen, sondern mit einem Licht im Herzen – angezündet durch das Gefühl von Gemeinschaft, von Anteilnahme und Mitgefühl.
Durch mein Facebook-Posting habe ich viele Nachrichten von Menschen bekommen, die um meine Erfahrung gebeten haben, weil sie selbst nach Traiskirchen fahren möchten. Deshalb habe ich meine Eindrücke und Erlebnisse hier niedergeschrieben. Mögen Sie Euch Mut machen, auf die Menschen zuzugehen und das Richtige zu tun.
// edit: Für meine Tochter: http://derstandard.at/2000020396192/Fluechtlinge-und-teure-Smartphones-Hetze-ohne-Fakten