Wenn wir über Liebe sprechen, denken wir ja meist erst Mal an Mann und Frau. Oder an Mutter und Kind, an die Liebe der Enkelkinder, Omas und Opas. Ich hatte heute aber ein Erlebnis über eine Liebe, die in keine dieser Kategorien fällt. Die mir auch erst gar nicht als solche bewusst wurde. Und doch, oder vielleicht gerade deswegen, war sie da. Vielleicht in ihrer reinsten Form, sodass ich sie erst gar nicht gleich erkennen konnte.

Menschen meiner Generation kommen oft nicht gerade aus einem besonders liebevollen Umfeld. Meine Kindheit als ältere Tochter einer Unternehmerfamilie war freundlich, aber selten liebevoll, und meist geprägt vom Business: husch-husch, zack-zack! So ähnlich ging es auch bei meiner langjährigen Freundin zu. Eine mühsame Vaterbeziehung verbindet uns sowieso, ebenso wie die Kraft, uns viele Jahre als Selbstständige und Alleinerzieherin in einer Person ganz gut durchs Leben zu schlagen. Husch-husch, zack-zack eben. Wir beide funktionieren gut, auch wenn’s mal heiß hergeht, anstrengend ist oder wir uns – Gott behüte – die Schulter auskegeln oder den Knöchel brechen. Wir haben beide einen großen Freundeskreis, den wir gerne und innig pflegen und hegen, und in dem wir uns wohl fühlen. Wir gehen unseren Beruf(ung)en nach und erfreuen uns daran. Wir mögen uns sehr, vertrauen einander und küssen uns zur Begrüßung und zum Abschied auf die Wange. Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können, dass wir einander diejenigen sind, die wir auch weit nach Mitternacht wegen einer Autopanne ungeniert aus dem Bett läuten können – und zwar ohne dies je explizit betont zu haben.

Im Leben meiner Freundin steht nun ein wunderbares Ereignis ins Haus: eine späte Hochzeit wird bald gefeiert. Und als Fachkundige und gute Freundin darf ich mich um die hochzeitlichen Drucksorten kümmern. Ein romantisches Hochzeitsweb wäre auch etwas Feines, dachte ich mir und machte mich gleich ans Werk. Ein Werk (es ist wirklich schön geworden, ich verlinke aber hier nicht, weil meine Freundin selbst entscheiden darf, wer diese doch sehr persönlichen Seiten sehen soll), das ich heute Morgen am Telefon präsentiert habe. Aufgeregt, wie ein kleines Kind, das etwas Tolles gefunden hat und die Freude teilen möchte, drängte ich sie beim morgendlichen Kaffee dazu, gleich die Seiten im Netz aufzurufen – schließlich wollte ich doch wissen, ob sie ihr gefielen.

Erst ein „Wow”. Dann ein Wunderschön! Und noch eines, während sie sich durch die verschiedenen Punkte der Homepage klickte. Dann nichts mehr. Mir stockte der Atem – gefiel es ihr womöglich doch nicht? Dann ein Schluchzen. Meine Freundin weinte. Erst nur leise, dann immer lauter. Sie konnte sich kaum mehr beruhigen. „So schön”, schluchzte sie immer wieder. „So schön!”

Später war ich mit dem Auto unterwegs und ließ meine Gedanken ein bisserl fliegen. Sie flogen schnurstracks zum morgendlichen Erlebnis zurück. Wie konnte es sein, dass eine Homepage – wenngleich mit viel Gefühl und Einfühlungsvermögen gemacht – so starke Emotionen hervorrief? Ich habe die Liebe in Verdacht! Ein Geschenk ist ja in unseren Jahren meist materiell oder es ist etwas, das wir uns ohnehin gewünscht hatten oder gar schon selber kaufen wollten. Das macht uns (trotzdem) Freude und artig bedanken wir uns. Ich habe darüber nachgedacht, wann ich mich je so über ein Geschenk gefreut hatte, dass ich in Tränen ausbrechen musste. Viel ist mir da ehrlich gesagt nicht eingefallen, obwohl ich ja durchaus nah am Wasser gebaut bin.

Ich glaube, es ist das Gefühl, geliebt zu werden, das meine Freundin so in Emotion versetzte. Eine Liebe, die wohl immer schon da war, aber eben in all dem husch-husch, zack-zack gar nicht so laut zu Wort kam, gar nicht so sichtbar wurde und die sich jetzt in diesen internetten Seiten manifestieren konnte. Eine Liebe, die nichts fordert, die einfach über viele, viele Jahre da ist. Ja, vielleicht sogar selbstverständlich geworden ist und damit unsichtbar. Eine Liebe, die da ist ohne Wenn und Aber, einfach so.

Und plötzlich konnte ich spüren, wie heilsam das ist. Wie großartig wäre das, könnten wir uns alle täglich auf diese Weise beschenken und beglücken. Und vielleicht ist das genau jene Art von Liebe, über die man sagt, dass sie das Böse besiegen kann.

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