Da ist sie nun also, die Zeit, die die Revolution in so vielen Bereichen herbeiführen will. Was tun wir mit diesem Geschenk?

Es ist also doch kein (Atom)Krieg, kein allgemeines Aus durch Sonnenstürme und weltweiten Zusammenbruch der Stromversorgung. Es ist auch keine Seuche mit vorsätzlicher Tötungsabsicht, wie etwa eine neue Pest. Es ist (für die meisten Menschen) „nur” ein relativ harmloses Virus, das uns eine Auszeit beschert, einen interimistischen Hausarrest verpasst und uns eine begrenzte Zeitlang aus unseren Gewohnheiten herausreißt. Es hätte wahrlich schlimmer kommen können …

Natürlich sind wir jetzt besorgt um unsere älteren Mitmenschen, um all jene Angehörigen, die wir an ihren Krankenbetten jetzt nicht trösten dürfen. Millionen Menschen sind sehr in Sorge um ihre wirtschaftliche Existenz und selbstverständlich gehören meine Familie und ich auch dazu.

Was ist es, das fehlt?

Glauben wir mal an das Gute und lassen wir die wirtschaftlichen Sorgen kurz beiseite. Lange haben sich viele Menschen mehr Zeit für sich gewünscht. Ein Wunsch, der sich nun erfüllt hat! Zeit, mit den Kindern zu spielen, Zeit endlich den verstaubten Bücherstapel auf dem Nachttisch in Angriff zu nehmen, Zeit den Online-Yogakurs zu buchen und endlich mit diesem lange gehegten Vorsatz zu starten. Und Zeit, einfach nur still dazusitzen, dem Vogelgezwitscher zu lauschen, das den Frühling feiert, und die Gedanken wandern zu lassen, ohne etwas tun zu müssen.

Man kann diese Zeit der eingeschränkten Handlungsfreiheit zur Genusszeit erheben, und erkennen, dass es gar nicht die wichtigen Dinge sind, die jetzt fehlen. Und man kann eine neue Bescheidenheit entwickeln, die Hand in Hand mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit einher geht:

  • einfache Speisen selberkochen und sich am Geschmack von Gewürzen und Kräutern erfreuen, die frischen Brennnesseln sammeln und zu echtem Vitaminspinat verarbeiten, statt fertige Tiefkühlkost aufzutauen
  • sich von der Geschichte in einem Buch auf eine Reise entführen lassen, statt in einem vollgestopften Flieger in ferne Ländern zu fliegen, um dort an einem Strand genauso in der Sonne zu entspannen, wie hierzulande an einem schönen See
  • Home-Worken statt täglich zweimal im Stau auf der Autobahn die Nerven wegzuschmeißen
  • Alleine (oder wie ich mit Hund) einen langen Spaziergang machen, Kopf und Körper auslüften, statt im Fitnesscenter zu schwitzen
  • die alten Gesellschaftsspiele aus dem Keller holen und mit der Familie aktiv etwas gemeinsam unternehmen und Spaß haben, statt sich vor dem Fernseher berieseln zu lassen, bis es Zeit wird, ins Bett zu gehen

Wer sich jetzt in seiner persönlichen Freiheit stark eingeschränkt fühlt, ist aufgerufen, das eigene Leben mal gedanklich zu durchforsten: Was von dem, das mir gerade so fehlt, ist wirklich wichtig für mich und mein Leben?

Nicht nur Zukunftsforscher wie Matthias Horx sehen eine große gesellschaftliche Veränderung durch die aktuelle Situation voraus. Für viele Menschen war schon lange mehr oder weniger klar, dass unser Leben nicht ewig auf die gewohnte Weise weitergehen kann. Dass wir nicht immer noch mehr haben müssen (und schon gar nicht brauchen). Das Virus und seine Konsequenzen lehren uns (neue) Bescheidenheit.

Besinnen wir uns also auf die wahren Werte in unserem Leben, erkennen wir, was uns wirklich wichtig ist, und worauf wir mehr oder weniger leicht verzichten können. Und nehmen wir diese Erkenntnisse mit in die „Zeit nach Corona”!

Foto: AdobeStock