Der Epstein-Barr-Virus (EBV) hält sich hartnäckig in meinem Blutbefund und hat sich durch die homöopathische Behandlung nur mäßig beeindrucken lassen. Viele Schulmediziner halten ihn nicht für sonderlich gefährlich, zumal angeblich rund 80 % der Menschheit Träger sein sollen. Das mag vielleicht so sein, wären da nicht ein paar ätzende Begleiterscheinungen …

Medizinmedium Anthony William hingegen hält ihn in seinen millionenfach verkauften Bestsellern für den fiesen Verursacher von zahlreichen Symptomen, ähnlich wie das auch bei der Borreliose der Fall ist. Die Liste ist endlos lang und betrifft so gut wie alle Körperregionen von Kopf bis Fuß, und bei vielen der angeführten Beschwerden muss ich ein Hakerl machen. Auch meine Tochter (19) ist vom EBV befallen, klagt immer wieder über Kopfschmerzen (auch jetzt, wo die Schule überstanden ist) und Regelbeschwerden.

Anthony William hat allem voran dem Stangensellerie zu neuer Berühmtheit verholfen, denn eine seiner Empfehlungen zur Entgiftung des Organismus ist das morgendliche Glas frischgepresster Stangensellerie auf nüchternen Magen #celeryjuice. In unterschiedlichen Kur-Vorschlägen sind noch weitere Säfte über den Tag verteilt enthalten sowie die Vermeidung von Gluten, Eiern, Schweinefleisch, Industriezucker und Kuhmilchprodukten aller Art.

Wir starten das Experiment

Ein Hype wie dieser kann nur durch viele applaudierende Follower entstehen, aber natürlich gibt es auch reichlich Stimmen, die den Autor für einen Schwindler halten, der vorgaukelt, von seinem „Geist” gesundheitsbezogene Briefings zu erhalten. Vornehmlich Schulmediziner und (Ernährungs)Wissenschaftler halten seine Thesen für Humbug.

Wir wollen uns selbst ein Bild davon machen und starten das 90-Tage-Experiment mit dem Ankauf eines Slowjuicers und Bergen von Sellerie, Gurken, Orangen und Zitronen, was uns im Supermarkt einige seltsame Blicke einbringt. Laura übernimmt das (zeitaufwändige) Pressen der Obst- und Gemüsesäfte, ich die nicht minder aufwändige Reinigung des Entsafters (eh klar).

Woche #1

Meine Tochter ist ein großer Fan von Säften und freut sich riesig über unser Experiment. Jedenfalls so lange, bis wir noch vor dem Guten Morgen-Kaffee am ersten halben Liter Selleriesaft genippt hatten. Stangensellerie in kleinen Stückchen im Wok ist nämlich eine ganz andere Geschichte … Selleriesaft hat ein scharfes salziges Aroma und erscheint uns in dieser Menge auf nüchternen Magen so unlösbar zu trinken wie ein halber Liter Schwedenbitter. Aber wie bei vielen Dingen – zu zweit motiviert es sich leichter und tatsächlich haben wir die erste Woche mit diesem neuen Ritual schon ohne Fail absolviert!

Fazit:

  • Selleriesaft verliert zunehmend seinen Schrecken – die Geschmacksnerven beginnen schon nach dem dritten Tag zu verzeihen.
  • Gurkensaft ist nicht so meins, aber Laura liebt ihn. Ich ergebe mich zwangsläufig, zumal ich gelesen habe, dass nichts den Körper so hervorragend durchfeuchtet.
  • Alle anderen Säfte sind köstlich, ein Liter Zitronenwasser über den Tag verteilt ist selbst für mich schwächelnde Trinkerin kein Problem (mehr).
  • Da es in dieser Woche feucht und kühl ist, fällt uns besonders auf, dass wir beide unaufhörlich schwitzen wie verrückt. Zudem klagt Laura über Pickel an den unterschiedlichsten Stellen und selbst mir ist da und dort einer aufgefallen. Die Entgiftung scheint bereits in Gang gekommen.
  • Da wir so gut wie nie Schweinefleisch essen, nur Pflanzenmilch im Kaffee trinken, wir beide sofort nach dem Genuss von Eiern Magenschmerzen bekommen, und wir von den Säften ohnehin so voll sind, dass uns auch kein Joghurt abgeht, trifft uns die Ernährungseinschränkung kaum. Das Glutenthema haben wir mit selbstgebackenem Brot überbrückt.

Woche #2

Weil der PC ja ebenso geduldig wie Papier ist, könnte ich jetzt schreiben, dass wir auch die zweite Woche bravourös gemeistert haben. Aber ehrlich – in Wahrheit war sie geprägt von Hoppalas und Frust!

Zum einen ist unser Sellerie, den wir vor lauter gutem Vorsatz in großer Menge zwar eingekauft, aber nicht fachgerecht (kühl!) gelagert haben, eine qualitative Enttäuschung geworden. Ist der Stangensellerie nicht mehr ganz frisch, dann schmeckt der Saft (wir hätten eine Steigerung nicht für möglich gehalten) richtig grauslich! Also – de facto untrinkbar, selbst bei allergrößter Motivation. Von einem halben Liter auf nüchternen Magen ganz zu schweigen. Um das Experiment nicht vollständig zu gefährden, haben wir die Menge auf ein Mindestmaß reduziert, bis wir frischen Nachschub hatten.

Zum anderen mussten wir erkennen, dass wir den Slowjuicer mit unserem Saft-Programm an seine Grenzen bringen. Zwei Bund Stangensellerie für ca. einen Liter Saft produzieren dermaßen viele Fäden und Fasern, die sich (nicht nur) um die Pressschnecke winden, dass die Reinigung einen dramatisch hohen Zeitaufwand fordert. Beherzt ist Laura mit dem Saft-Projekt morgens bald zwei Stunden in der Küche beschäftigt gewesen. Alleine das Slowjuicen braucht schon seine Zeit für zwei Selleriesäfte und zwei Gurke-Sellerie-Apfel-Ingwer-Säfte, die zweifache Reinigung des kompletten Gerätes ist unter einer guten halben Stunde nicht zu absolvieren. Also ehrlich, das ist schlichtweg nicht zu realisieren (schon gar nicht auf nüchternen Magen ohne Guten-Morgen-Kaffee!).

Wir haben also in dieser Woche viel gelernt:

  • Ein Zentrifugen-Entsafter muss – zumindest für den Selleriesaft – her. Gottseidank hat sich eine freundliche Seele gefunden, die uns einen (mit Selbstreinigungsfunktion!) für unser Experiment zur Verfügung stellt!
  • Zitronen-Ingwer-Wasser geht immer, ein halber Liter jeweils vormittags und nachmittags ist kein Problem mehr (schon gar nicht bei der Hitze).
  • Überhaupt kein Problem für uns: Verzicht auf Eier, Kuhmilchprodukte und Schweinefleisch. Mit den Gluten ist es – vor allem, wenn wir unterwegs sind – nicht ganz so einfach. Aber wir arbeiten daran, hier ist eine gute Vorbereitung die halbe Miete!

Was wir noch bemerkt haben:

  • Weiterhin schwitzen wir wie verrückt, freuen uns über die Entgiftung und über einen schnelleren Stoffwechsel.
  • Knapp zwei Kilo minus zeigt die Waage. Kein großartiger Erfolg, ich weiß, aber wenn man bedenkt, dass er ausschließlich auf den Säften und keinerlei „Diät“ beruht, nicht übel, auch wenn’s nur Wasser ist.
  • Trinken kann man lernen und plötzlich spürt man auch Durst!

Wochen später …

Nach den ersten drei Wochen und wachsender Verzweiflung haben wir in einen neuen Entsafter investiert. Der Slowjuicer mag seine Vorteile haben, dem Stangensellerie ist er aber nicht wirklich gewachsen gewesen. Die tägliche Nervenprobe beim mühsamen Reinigen, weil sich die Selleriefasern in den Innenräumen gänzlich verfangen haben und nur schwer wieder loszueisen waren, haben das Experiment nicht wirklich leichter gemacht. Wir haben also nochmal in die Tasche gegriffen und einen konventionellen Entsafter (mit automatischer Reinigungsfunktion – sicher ist sicher) gekauft.

Der neue Entsafter hat wieder Licht in unser Sellerie-Leben gebracht und ist rasch zu einem Lieblingsküchengerät avanciert. Er ist ganz leicht zu zerlegen und zu reinigen, sodass wir die automatische Reinigungsfunktion bisher noch nie ausprobiert hatten. Zudem ist er spülmaschinenfest in allen Teilen – Halleluja!

Die Freude währte allerdings nur kurz, denn der ohnehin nicht so prickelnd schmeckende Selleriesaft wurde von Tag zu Tag bitterer. Just als wir schon am Schwanken waren, ob wir dieses Experiment noch lange durchhalten würden, waren die Regale leer. Wie viele Supermärkte welcher Marke auch immer wir abgrasten – nirgendwo war plötzlich Stangensellerie zu finden. Ein Zeichen? So fand unser Experiment, gerade als wir wieder Spaß am Entsaften hatten, ein jähes Ende. Offenbar gibt’s auch für Stangensellerie eine Saison …

P.S.: Mittlerweile (August) gibt es ihn wieder, allerdings haben wir ihn bislang nur in konventioneller Qualität gefunden. Nix Bio und dann noch die Erinnerung an den bitter-salzigen Geschmack der letzten Stangen … wir brauchen noch ein Weilchen, bis wir uns (vielleicht) wieder an dieses Experiment wagen.

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